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sonst viel zeitiger geöffnet zu werden pflegte. Ich teilte es meinem Vater mit, und auch dieser schüttelte verwundert den Kopf. Im selben Augenblicke hörten wir innerhalb der Stadt Trommelschlag. Das Tor öffnete sich und ward alsbald wieder geschlossen, nachdem ein Trupp preußischer Soldaten ausgerückt war. In ihrer Mitte fuhr der Richtkarren. Sie kamen jetzt unser, Hause näher und - welcher Schmerzensanblick für uns! - auf dem Karren saß unser Rochlitzer mit noch zwei anderen, im Armensünderhemde. Kopfhängend saßen die Beiden da, aber mit zum Himmel erhobenen Haupte der Rochlitzer. Jetzt schaute er nach unserm Hause herüber - er bemerkte uns, grüßte und rief sein letztes Lebewohl zu, bat noch, seine alten Eltern zu grüßen - und hinweg eilte der Zug - hinaus zum Galgen. Aber in unserm Hause blieb der Jammer zurück. Das war ein Weinen und Jammern, wie ich es nur noch einmal gehört habe, beim Tode meines leiblichen Vaters.

            Als Kind hatte ich meinen kindlichen Schmerz zuerst ausgeweint, bezwang ihn wenigstens so sehr, dass ich meiner innig teilnehmenden Neugierde folgen konnte, und lief rasch dem Zuge nach, um doch zu sehen, was aus unser, Rochlitzer werden sollte. Wusste ich auch, dass Niemand wohl je lebendig zurückkehrte, der auf diesem Wege hinausgefahren wird: ich konnte mir das Schreckliche noch nicht einreden. Ich musste mich mit meinen Augen davon überzeugen. Ich fand den dort drüben am Hochgerichte schon angelangt. Ein Viereck war um die Galgen herum von den Preußen formiert. Darin standen die drei Verurteilten und die Nachrichter, um das Viereck herum drängten sich zahllose Zuschauer, die aus den Vorstädten herbei gelaufen waren. Es herrschte eine Totenstille. Da trat in den Kreis ein preußischer Kriegsschreiber und verlas mit lauter Stimme das Todesurteil. Als Deserteur und Aufwiegler sollten alle drei durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht werden; das besondere Urteil über den Rochlitzer, als Rädelsführer, konnte ich vor meinem und mehrerer dabeistehender Frauen Schluchzen nicht vernehmen. Ach! Ich sollte mit desto größerem Schauder das schreckliche Urteil an im Vollstrecken sehen. Schon stand der Nachrichter oben auf dem Galgen, der eine Verurteilte stieg die Leiter hinauf - der Strick war augenblicklich um seinen Hals geschlungen - ein Fußtritt des Nachrichters stieß ihn von der Leiter herab - und vor uns hing der entstellte Leichnam mit weit aufgerissenen stierenden Augen - und lang aus dem offenen Munde herausragender Zunge. So starb auch endlich der Zweite. Da kam

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