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Gustel ruhig lag und schlief. Ihre Mutter saß neben ihr auf einem Stuhle und zwar mit festgeschlossenen Augen. Nun gingen in Fingerlings Kopfe noch einmal die Erlebnisse des vollbrachten gestrigen Tages vorüber. Wie so bald und auf welche schreckliche Weise hätte er seine geliebte Gustel, seine Freude und Lust, verlieren können! Da fiel ihm mit einem Male der Gedanke schwer aufs Herz, dass er ja dem lieben Gott noch nicht für ihre wunderbare Errettung gedankt hatte. Daran war hauptsächlich Sibyllens Vergehen schuld gewesen. Aber war er nicht auch bei dieser zu weit in seinem Unwillen gegangen? Befiehlt nicht die Schrift: So jemand von einem Fehler übereilet wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geiste, die ihr geistlich seid? Hatte er nicht selbst von seinem Zorne sich übereilen lassen?

            Diese Betrachtungen verscheuchten allen Schlaf aus Fingerlings Augen. Zuerst holte er die vergessene Dankespflicht mit großer Inbrunst nach. Dann stand er auf, kleidete sich an, nahm die Lampe und begab sich in die Wohnstube, wo Sibyllens Lager aus dem alten Kanapee war. Hier setzte er die Lampe an die Erde und sich vor Sibyllens Lager. Nicht ohne Rührung heftete er seine Augen auf das Mädchen, welches mit geschlossenen Augen und über die Brust gefalteten Händen dalag. Sibylle mochte unter Tränen eingeschlafen sein, denn ihre Augen waren gerötet und geschwollen.

            „Ich bin ja auch ein Sünder,“ dachte Fingerling, „wenn auch nicht ein Dieb. Wollte der liebe Gott

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