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kein weiches Lager, kein erquickender Schlaf. Der scheidenden Sonne goldig strahlendes Licht erschreckte sie, anstatt sie zu erfreuen. Von dichter Finsternis umhüllt wünschte sie sich. Von dem Gefühle ihrer Schuld und Unwürdigkeit schwer gedrückt schlich sie dahin, unentschlossen, welches Ziel sie ihrer Wanderung setzen sollte.

            Als nun der Vollmond rötlich glühend über den Bergen emporstieg, als Schellenbergs Fenster vom Lampen- und Kerzenschimmer erglänzten und nur die Augustusburg dunkel wie ein schlafender Riese dalag, da richtete Sibylle jener ihre Schritte zu. Zuerst beschloss sie, an der Mauer des großen Bärengartens einen schützenden Versteck auszusuchen. Wirklich fand sie einen solchen und nahm Besitz von demselben, obschon er der kleinen Sünderin lange kein so weiches Lager darbot, wie das ihrige bisher in ihrer Pflegeeltern Hause gewesen war. Sibylle kauerte sich nieder, lehnte den Rücken gegen die Mauer und schloss die Augen, so den Schlaf geflissentlich suchend. Aber er floh lange das schuldbeladene Herz. Endlich verwirrten sich mehr und mehr die mannigfachen Bilder des verlebten Tages vor Sibyllens geistigem Blicke. Sie war im begriff, in ängstliche Träume überzugehen, als ein jäher Schreck die Kleine in Todesangst versetzte und sie wie ein gehetztes Wild von dannen scheuchte. Sie vernahm in ihrem Rücken und zwar jenseits an der Mauer ein ungestümes Kratzen, welches das dumpfe Brüllen eines beuteschnaubenden Tieres begleitete. Ob der Bär die Nähe eines menschlichen Wesens in

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